top of page

drawing a line

zeichnen

IMG_0613_edited.jpg

 

RESSOURCE ZEICHNEN

Wenn ich zeichne, nutze und entwickle ich, prüfe und bewerte ich, genieße ich die Ressourcen, die mir zur Verfügung stehen. Welche das sind?

Zunächst, um an diesem Punkt zu beginnen, natürlich das Material. Mit der Vorstellung, ansprechende Ergebnisse zu erzielen, experimentiere ich mit verschiedenen Papieren und Stiften. Ich finde heraus, dass zu den farbigen Filzstiften, mit denen ich arbeiten will, ein besonders geeignetes Papier hergestellt wird. Die Farbe auf einer alkoholischen Basis verläuft auf diesem Papier nicht und schlägt nicht durch. Die Stifte entsprechen der von mir bevorzugten Arbeitsweise: eher schnell, spontan, ohne Wartezeiten zwischen den Arbeitsgängen, in einigen Minuten oder vielleicht einer Stunde zu einem Ergebnis führend, das ich betrachten und bewerten kann.

Zuvor habe ich womöglich schon eine Idee entwickelt, was oder besser wie ich zeichnen werde. Diese Idee kann sich herausbilden, weil ich seit fast vierzig Jahren zeichne und male und einen großen Erfahrungsschatz habe. Ich weiß vor allem sehr genau, was ich alles nicht zeichnen oder malen will, was mich nicht interessiert, was mir meine Motivation nimmt, wozu mir die nötigen spezifischen Fähigkeiten fehlen.

Wenn ich zeichne, ist der von mir zu Beginn festgelegte Ausschnitt des Papierbogens meine räumliche Ressource, die ich mit Linien, mehr oder weniger breit, in verschiedenen Richtungen nach und nach fülle. Indem ich den Ausschnitt durch Linien immer weiter unterteile, werden die Bewegungsräume für die weiteren Linien immer schmaler; spontan entschließe ich mich früher oder später, keine weiteren Linien zu ziehen, oder den Stift zu wechseln, oder den zur Verfügung stehenden Ausschnitt zu vergrößern. Abhängig ist die Entscheidung, aufzuhören, von dem, was sichtbar ist und von dem, was nach meiner Vorstellung noch entstehen könnte; ich nutze also meine Phantasie, um den begonnenen Prozess  mit einer weiteren Verdichtung fortzuführen, und fasse einen Entschluss. Mit meinen Erfahrungen entwickelt sich mein Vorstellungsvermögen glücklicherweise weiter, sodass ich lernen und mich verbessern kann – das heißt: Ich kann differenzierter arbeiten und wahrnehmen, bis ich irgendwann möglicherweise etwas ganz anderes ausprobieren will.

Was es genau ist, was ich will und was mich motiviert, immer weiter zu forschen und zu gestalten, finde ich heraus, indem ich etwas anderes mache und meinen Erfahrungen folge. Ich habe herausgefunden, dass für mich zwei Kriterien Bedeutung haben: dass ich überhaupt zeichne und dass mich das Zeichnen nicht langweilt. Mehr brauche ich im Zweifelsfall nicht, obwohl mich Ergebnisse, die mich und andere erfreuen, natürlich motivieren, einem Weg zu folgen.

Hier ist die nächste Ressource: die Resonanz, die ich von anderen erfahre. Ich bin nicht sicher, ob ich nicht auch ohne diese Resonanz weiterarbeiten würde, aber natürlich freue ich mich über Reaktionen, ob spontan oder reflektierend. Jede Reaktion hilft mir, sozusagen 'meine Instrumente zu stimmen‘, indem ich die von anderen formulierten Erfahrungen mit meinen eigenen vergleiche.

In der letzten Zeit und passend zu der Art, in der ich jetzt zeichne, ist Musik, die ich höre, für mich zu einer Zeichen-Ressource geworden. Ich höre sie manchmal, zeitweise beim Zeichnen, es kommt zu Erlebnissen des Zusammenklingens, des Changierens, des Wechsels der intensivsten Aufmerksamkeit zwischen dem Arbeitsprozess und dem Zuhören. Linien ziehen und die Musik nehmen Zeit in Anspruch, verlaufen in der Zeit.

Besondere Bedeutung haben für mein Arbeiten meine körperlichen Ressourcen: die Konzentration, die Augen, die Koordination zwischen Augen und vor allem der rechten Hand; die vollständige oder weitgehende Schmerzfreiheit in Rücken, Hals und Schultern; die Ausdauer. Im Verlauf der Arbeit lassen Konzentration, Koordination, Geschicklichkeit zeitweise nach. Das schadet nicht unbedingt der Zeichnung, vielmehr verändert es sie, genau wie die Geschwindigkeit, in der ich Linien ziehe, und der Anspruch, den ich an ihre Genauigkeit habe: So werden die Linien oft gerader, wenn ich sie zügig und ‚zuversichtlich‘ ziehe, aber mit dem ‚Risiko‘, den für die Linie zur Verfügung stehenden Raum auf dem Blatt nicht genau zu treffen. Jede Abweichung, jede Ungenauigkeit, wird im Ergebnis wahrnehmbar sein und zur Bereicherung des Erlebnisses beitragen.

Ohne die strukturellen Ressourcen, die mir zur Verfügung stehen, wäre natürlich keine künstlerische Arbeit möglich: die förderliche und sichere Umgebung, die Freiheit, nicht von der Hand in den Mund leben zu müssen, die Menschen und Einrichtungen, die mir Gesundheit ermöglichen…

 

Wenn mir das Zeichnen gelingt, erlebe ich den Wert meiner Ressourcen. Die Ressourcen scheinen zusammenzuklingen. Ich erfahre Resonanz und stärke damit - meine Ressourcen.

 

 

Alle Zeichnungen wurden mit Markern auf Layout-Papier im Hoch-format DIN A 2 (594 x 420 mm) erstellt. Die Abbildungen zeigen das Muster der jeweiligen Zeichnung in einem Ausschnitt.

bottom of page